(1) Da ist zum Beispiel der neue Facebook-Algorithmus, der seit dem Frühjahr bewirkt, dass Posts von Freunden Priorität gegenüber denen von Firmen bekamen. Das ließ die Fans von Unternehmen weniger werden, forderte die Marketeers heraus und verstärkte den Trend zu Content Marketing.
(2) Content Marketing, das sich mit Storytelling – Geschichten erzählen – überschneidet, war weiterhin ein großes Thema. Damit ist gemeint, den Verbraucher zu unterhalten und ihm Mehrwert zu bieten – am besten beides. Kurz vor Weihnachten gelang es Edeka, sich mit Storytelling ins Gespräch zu bringen.
(3) Die Nutzer begrüßen den Trend zum Geschichtenerzählen sehr, obwohl sie häufig von Online-Werbung genervt zu sein scheinen, wie der große Erfolg des Adblock Plus in diesem Jahr nahelegt. Die Debatte darum hat den Blick wieder auf das zugrundeliegende Problem der Erlösmöglichkeiten im Netz eröffnet. Vor allem aber hat es gezeigt, dass die Debatte darüber, wie man im Netz Geld verdienen kann, um Qualitätsjournalismus zu betreiben noch keineswegs abgeschlossen ist.
(4) Eine andere große Debatte 2015 drehte sich um Datenschutz – mal wieder. Der Europäische Gerichtshof hat das Safe-Harbour-Abkommen der EU mit den USA für rechtswidrig erklärt. In wie weit Datentransfer in die USA nun noch erlaubt ist, ist unter Juristen umstritten.
(5) Im Spannungsfeld zwischen Datengewinnung durch Social Media, Algorithmen und wirtschaftlichen Interessen hat sich Bundeskanzlerin Merkel überraschenderweise so positioniert, dass „der Datenschutz nicht die Oberhand gewinnen dürfe“. Durchaus ein Thema, das noch nicht zu Ende diskutiert ist, denn einerseits scheinen sich Verbraucher mehr Datenschutz zu wünschen, sind aber recht freizügig mit ihren Nutzerdaten. Auch, weil dem durchschnittlichen Nutzer nicht klar ist, wo er überall seine Daten hinterlässt, um Gratis-Software und –Dienste zu „bezahlen“.
(6) Interessant im Spannungsfeld von Journalismus, Politik und Social Media war außerdem, dass der bekannte Youtuber Le Floid die Chance bekam, Bundeskanzlerin Merkel zu interviewen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu Merkels Aussage von 2013, das Internet sei Neuland (die weitgehend bewusst missverstanden worden war). Die Art, wie Le Floid Merkel befragt, wurde kritisiert – wichtiger daran scheint, dass ein Youtuber von der großen Politik als Journalist wahrgenommen wurde. Das zeigt, dass das Netz der entscheidende Kanal ist, um junge Wählerschichten zu erreichen, die wenig oder gar kein fernsehen.
(7) Interessante Debattenbeiträge zu Gegenwart und Zukunft des Netzes finden sich in einem Buch, das schon 2014 erschienen ist, für mich aber die erhellendste Lektüre zur Netzpolitik in diesem Jahr war: Der „Technologische Totalitarismus“, noch herausgegeben von Frank Schirrmacher. Die Qualität der Beiträge in diesem Essay-Band schwankt so stark wie die Netz-Kompetenz ihrer Autoren, sind aber durchweg diskussionswürdig.
Tiefpunkte bieten Hans-Magnus Enzensberger, der schlicht dafür plädiert, das Internet nicht zu nutzen, und Eric Schmidt von Google, der verspricht, europäische Bedenken ernst zu nehmen, um am Ende doch zu schließen, dass er Marktregulierung grundsätzlich für falsch hält. Dem gegenüber stehen als Höhepunkte etwa der Eingangsessay von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlamentes, auf den sich andere Autorinnen und Autoren im Folgenden beziehen. Er plädiert dafür, die Zukunft mit dem Netz zu gestalten, wie es im 19. und 20. Jahrhundert mit der Industriearbeit geschehen ist, also im Sinne von Humanisierung. Aber auch Juli Zehs Text, die als Juristin und Netzaktivistin dafür plädiert, persönlichen Daten einen ähnlichen Rechtsstatus zu verleihen wie materiellen Gütern, stellt einen Höhepunkt dieses Bandes dar.
(8) Interessant war dieses Jahr auch, dass Twitter seine API zum Erfassen der Userzahlen abgeschaltet hat. Das traf – vorsichtig ausgedrückt – nicht auf einhellige Begeisterung. Der Grund dafür, das Twitter abgeschaltet hat, war die geringe Aussagekraft der Zahlen. Mag sein – beliebt war das Feature trotzdem.
(9) Apropos schnell wie Twitter: Die schnelle Nachricht erfreut sich weiterhin wachsender Beliebtheit. Nur nicht mehr in Form von SMS, wie in den Nullerjahren, sondern per WhatsApp und Co. Mit dem Preisverfall durch Daten-Flatrates hat die Zahl der versandten Nachrichten neue Höchststände erreicht.
Statista berichtet von 667 Millionen Nachrichten in Deutschland. Pro Tag! Bald werden wir wissen, ob am 1.1.2016 ein neuer Rekord gemessen wurde.
(10) Eine Online-Kampagne, die amüsant war, ist die von Saturn: Bei Technik-Fragen Tech-Nick fragen. Abgesehen von dem gelungenen Wortspiel hat sie alles, was Spaß macht: einen markanten Typen als Titelfigur, lustige Angebote und einen Schuss Selbstironie. Vielleicht ist es das, was der stationäre Handel braucht, um dem großen Versandhändler die Stirn bieten zu können?
(11) Wenn man einem Thema in der zweiten Jahreshälfte nicht entgehen konnte, war das Star Wars. Man liebt es, man hasst es – egal. Eins muss der Neid der Marketing-Maschinerie von Disney lassen: sie nehmen wirklich alles mit. Bis hin zu Darth-Vader- und R2D2-Duschköpfen. Glückwunsch zu dieser Marktdurchdringung mit einem dreißig Jahre alten Produkt! Aber letztlich ist es nur ein weiterer Beweis, dass die alten Geschichten, richtig erzählt, immer wieder ziehen.
(12) Nicht dreißig Jahre alt, aber auch schon ein Dauerbrenner und deutlich nerviger für deutsche Youtube-User ist der Rechtsstreit zwischen der Youtube-Mutter Google (seit diesem Jahr Alphabet) und der Verwertungsgesellschaft GEMA. Als ich für diesen Text prüfen wollte, ob ein Video Psys „Gangnam Style“ vom Thron der meistgesehenen Youtube-Musik-Videos gestoßen habe, stieß ich auf diese zwar nicht tagesaktuelle, aber übersichtliche Liste des Independent.
Was mich traurig gemacht hat, ist der Anteil der Videos, die in Deutschland aufgrund dieses Rechtsstreits nicht zu sehen sind. Nicht unbedingt jedes Video (hallo, Justin!), aber doch das Prinzip. Die IP-Adresse zu verschleiern, um nicht als User aus Deutschland erkannt zu werden, kann ja auch nicht die Lösung sein.
(13) Auch neu in diesem Jahr war der Raspberry Pi Zero. Nachdem der erweiterbare Minicomputer Raspberry Pi, der um die 35 Euro gekostet hat und ursprünglich für Schüler gedacht war, die Bastler-Szene erobert hat, ist in diesem Jahr eine noch günstigere Version um die fünf US-Dollar auf den Markt gekommen: der Raspberry Pi Zero. Im kommenden Jahr werden wir sehen, was die Maker damit so anstellen.
(14) Weniger erfreulich als ein extrem günstiger Bastel-Computer ist aus Nutzersicht, dass die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland wieder eingeführt wurde. Seit Dezember 2015 werden so genannte Meta-Daten in Deutschland wieder gespeichert. Ob diese Regelung gerichtsfest ist, wird sich noch herausstellen.
(15) Nicht gerichtsfest jedenfalls waren die Vorwürfe an das Blog Netzpolitik.org, Landesverrat begangen zu haben. Die Ermittlungen wurden eingestellt. In diesem Verfahren ging es auch darum, welche Rolle Blogger spielen, also ob sie den besonderen Schutz des Grundgesetzes genießen ebenso wie die Presse. Und letztendlich geht es darum, wie Whistleblower geschützt werden oder eben nicht.
(16) Für Politiker und Geheimdienstler mögen Presse und Blogger anstrengend sein, aber auch „normale“ Dienstleister kennen seltsame Kunden. Die schönsten, haarsträubendsten Geschichten mit Kunden von Graphik- und Webdesignern gibt es bei Clientsfromhell.net. Täglich zwei neue, atemberaubende Geschichten, die die „Kunden aus der Hölle“ plötzlich in milderem Licht erscheinen lassen. In erster Linie sind die Geschichten aber sehr amüsant.
(17) Ein wiederkehrender Termin wie Weihnachten und Neujahr ist die Vorstellung des neuen iPhones. Im Jahr 2015 war es im September das iPhone 6S mit neuer Display-Größe, das sicherlich vor wenigen Tagen unter vielen Weihnachtsbäumen gelegen hat. Derweil brummt die Gerüchteküche schon, was das für September oder Oktober erwartete iPhone 7 bieten und ob Apple auch nach Steve Jobs’ Tod die Innovationsspitze der Smartphones wird halten können.
(18) Was 2015 übrigens nicht mehr kam – oder hab ich es überhört, weil es jedes Jahr kommt wie das neue iPhone – ist die Prophezeiung, GNU/Linux werde sich dieses Jahr aber nun wirklich ganz sicher auch auf dem Desktop durchsetzen.
Dass Linux aber aus der Infrastruktur des Netzes nicht wegzudenken ist und der Großteil der Embedded Systems unter Linux laufen – genauso wie auf über 80 Prozent der Smartphones und Tablets – dürfte die Linux-Verfechter trösten.
(19) Die Marktmacht von Microsoft bleibt auf dem Desktop wohl ungebrochen; die mehr oder weniger sanften Hinweise an Nutzer von Windows 7 und 8, auf Windows 10 zu aktualisieren, dürften dazu beigetragen haben, dass die Download-Zahlen der neuen Version beachtlich waren; seit November ist zudem bereits ein Update erhältlich.
Die Dominanz von Windows auf dem Desktop dürfte also anhalten, wobei der PC nur noch eine von vielen verschiedenen Computerklassen ist: Smartphones, Tablets, Smartwatches und andere Wearables bieten immer neue Möglichkeiten, ins Netz zu gehen.
(20) Oder auch mit Drohnen. Drohnen waren früher mal männliche Bienen; heute denkt jeder an unbemannte Flugobjekte. Weil die nicht nur von Kameraleuten eingesetzt werden, sondern als Spielzeug jede Menge Spaß machen, lagen sicherlich viele davon in den letzten Tagen unterm Weihnachtsbaum. Da sie so beliebt sind, überlegen Innenpolitiker schon, gesetzliche Regelungen für den Einsatz von Drohnen zu treffen. Spielt also bitte verantwortungsvoll damit und benutzt eure Drohnen, um im Jahr 2016 den Überblick zu behalten.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für 2016!
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